Ich möchte den heutigen „Europäischen Tag des Notrufs 112“ zum Anlass nehmen, um die Wichtigkeit zu betonen, Hilfe zu suchen. Wenn wir verletzt, krank oder Opfer einer Straftat werden, wissen wir, dass uns unter 112 geholfen wird. Wenn unsere Seele leidet, wir gekränkt, gedemütigt werden oder keinen Weg mehr aus Trauer und Verzweiflung finden, empfinden wir es oft als Schwäche, Hilfe anzunehmen. Doch auf das Leben und seine Herausforderungen sind wir selten gut genug vorbereitet. Nicht weil wir unfähig sind oder gerettet werden müssen, sondern weil jede Last, jeder Schicksalsschlag unsere bisherigen Bewältigungsmuster überfordern kann.
Ein stabiles Umfeld mit Menschen zu haben, die auch in Regenzeiten an unserer Seite bleiben, ist nicht jedem/r vergönnt. Auch sind manche Prüfungen so schwer, dass die Bewältigungserfahrungen unserer Lieben nicht genügen. Suchen Sie nach Gleichgesinnten, nach spezifischer Literatur oder – und das ist mir besonders wichtig – nach ärztlicher oder psychologisch-therapeutischer Unterstützung. Sich Hilfe zu holen, um aus Krisen gestärkt herauszutreten, ist ein Akt der Selbstliebe. Und es zeugt von Mut und Stärke die eigenen Mechanismen nachzujustieren. Wir können nicht an den anderen „arbeiten“, wir dürfen aber unser eigenes Rüstzeug mit professioneller Hilfe verstärken. Gerade im seelischen Bereich können wir viel erreichen, wenn wir falschen Stolz überwinden und uns erlauben - gemeinsam mit dem Fachpersonal - Probleme abzutragen. Viele Impulse dazu gebe ich auch in meinem Buch „KRÄNKUNGEN – Was sie wert sind und wie wir sie überwinden“.
Waren Sie vielleicht schon an einem Punkt, an dem Sie Hilfe gesucht haben und wurden enttäuscht? Nicht jede/r Therapeut/in passt zu uns. Suchen Sie Ihre/n passende/n Vertraute/n. Nur Mut: Wir haben niemals ausgelernt und sind nicht gefeit vor den großen Herausforderungen des Lebens. Spätestens in diesen Zeiten werden wir feststellen, wie wichtig ein gutes Netzwerk ist und dass es für Prüfungen dieser Art fundierte Sichtweisen und Strategien braucht. Seelisches Leid und psychische Erkrankungen haben ein Recht darauf, gehört zu werden. Sie sind nicht allein.
Herzlichst, Tamara Nauschnegg
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