Wer flucht, überwindet

Heute möchte ich mit einem Klischee aufräumen. Psycholog*innen sind nicht immer ruhig und gelassen. Wir können auch lautstark unsere Meinung kundtun. Selbst Fluchen gehört dazu. Wir wissen um die entspannende Wirkung des Fluchens und würden es uns deshalb nicht verbieten. Genau genommen dient so mancher Kraftausdruck als Ventil und hilft somit dabei, belastende Situationen besser zu verkraften – das belegen zahlreiche wissenschaftliche Studien. Aber Achtung: Hetze in jeglicher Form ist hier nicht gemeint. Hetze kennt nichts Konstruktives und hat jedenfalls negative Konsequenzen für sich und andere.

Doch zurück: Gelegenheiten zu fluchen gibt es zahlreiche. Der Konflikt mit Kolleg*innen, die Unpünktlichkeit der Partnerin, des Partners oder die vielen kleinen Missgeschicke im Alltag. Nicht jede Situation verlangt nach einem Lächeln. Und sich fluchend Gehör zu verschaffen, ist manchmal die Grenze, die ein Lächeln nicht ziehen kann. Die wenigsten wollen damit beleidigen. Es ist tatsächlich eher eine Art Ventil, Situationen erträglicher zu machen, als die Gelegenheit, andere zu beleidigen. Auch ein Fluchen ohne Publikum hat ähnliche Effekte. Aber: Die Dosis macht auch hier das Gift. Ein Zuviel wirkt unsicher, lässt Respekt (vor sich selbst) einbüßen und nimmt uns die entspannenden Vorteile. Oder anders ausgedrückt: Je seltener Kraftausdrücke ausgesprochen werden, umso entspannender ist ihre Wirkung.

 

Warum und wie macht nun Fluchen Stress erträglich? Indem es die Stressreaktion zunächst weiter intensiviert. Klingt paradox, ist aber leicht zu erklären. Mit der Zunahme der Stressreaktion werden vermehrt Adrenalin, aber auch Endorphine, also Glückshormone, ausgeschüttet. Diese reduzieren das Schmerzempfinden und lassen uns unangenehme Situationen leichter ertragen. Ein Grund übrigens, warum Geburten selten ohne Kraftausdrücke vonstattengehen. ;-) Dass zu fluchen sogar im Berufsleben sinnvoll sein kann, bestätigen Studien ebenso. Dem Ärger Ausdruck zu verleihen - in der richtigen Dosierung - stärke den Zusammenhalt und die Solidarität unter Kolleg*innen bzw. vermag sogar die Motivation zu steigern. Ein lockerer Umgangston, der Imperfektion zulässt, macht nahbar, stärkt das Vertrauen und verbessert das Gemeinschaftsgefühl. Dass der Respekt dabei nicht verloren gehen darf, ist Voraussetzung.

Fazit: Wir sind nicht perfekt, müssen es aber auch nicht sein.

 

Herzlichst Tamara Nauschnegg

 

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