Das menschliche Gehirn ist ein Wunder - aber auch sensibel. Genau wie der Körper wird es im Laufe des Lebens mehr oder weniger stark verwundet. Das ist nicht das Schicksal „schwacher“ Menschen, sondern ein natürlicher Mechanismus. Erfahrungsgemäß hat sich ein großer Irrtum eingeschlichen: Dass „starke“ Menschen nicht anfällig für psychisches Leid seien. Oder es zumindest mit rationalen Argumenten begrenzen könnten. Abgesehen von einer genetischen Disposition für verschiedene psychische Störungen und Krankheiten kann das Schicksal jeden Menschen in die Knie zwingen. Das ist keine Schwäche, sondern das Leben.
Gerade Verdrängung als Konzept der Bewältigung verursacht noch viele Jahre später - oft auch plötzlich - psychisches Leid. Tatsächlich haben viele körperliche Erscheinungen psychische Ursachen, die sich „starke“ Menschen nicht zugestehen wollen. Männer kämpfen mit dem Stigma „psychische Probleme“ oft sehr, weil sie die eigene Stärke in Gefahr wähnen. Achtung: Krankheiten sind kein Versagen. Niemals. Mit jedem gewonnenen Jahr an Leben steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Dysbalancen auf körperlicher, mentaler und psychischer Ebene. Nur körperliche Gebrechen zu behandeln, würde dem Wunderwerk Mensch nicht gerecht werden.
Insbesondere in diesen Zeiten braucht unsere Seele eine Extraportion Verständnis. Geänderte Strukturen haben die Eigenschaft, oft längst bewältigt geglaubte Erlebnisse ans Tageslicht zu bringen. Daher meine Bitte: Vertrauen Sie sich Menschen an, lesen Sie facheinschlägige Literatur und/oder suchen Sie sich professionelle Unterstützung. Die größte Stärke ist einzugestehen, wenn eine Last überhandnimmt, wenn Altes immer noch schmerzt oder Neues nicht zu fassen ist. Wichtig: Investitionen in die psychische Gesundheit zahlen sich nicht nur in Akutphasen aus, sondern lohnen sich vor allem auf lange Sicht, denn das Leben bleibt herausfordernd.
Herzlichst Tamara Nauschnegg
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